Klares Ja zu Kulturvielfalt

Creative Europe

Mitgliederinformation VS – Von Nina George, 14.9.2018:

Entscheidung zur Reform des EU-Urheberrechts: Klares Ja zu Kulturvielfalt und gerechter Verantwortungsverteilung im Internet.

Das EU-Parlament hat am 12.9.2018 mit deutlicher Mehrheit für die Reform des Urheberrechts und die Vorlage des Berichterstatters Axel Voss (CDU) gestimmt. Es folgen nun „Trilog-Gespräche“, also weitere Verhandlungen zwischen Kommission, Parlament und dem Europäischen Rat als Vertreter der Staaten. Sie sollten vor dem Ende der Legislaturperiode beendet sein.

Das geltende Urheberrecht für den digitalen Binnenmarkt stammt aus dem Jahr 2001, Anpassungen waren nicht nur überfällig, sondern auch für das Überleben bestimmter Kulturbranchen wie Musik und Film geradezu essentiell. Wir stehen an einem Punkt, an dem Internetmonopolisten Kulturwerke in einem Umfang nutzen und verbreiten, ohne ihren Schöpfern und ihren Partnern Vergütung, Dokumentation der Nutzung oder Rechtssicherheit oder gar Widerspruchsmöglichkeiten, die funktionieren, zu geben.

Auf der anderen Seite wurden Haftungs-Zuweisungen an die Nutzerinnen und Nutzer des Internets ausgelagert: beschwerte sich eine Urheberin über die illegitime Nutzung ihrer Werke – Fotos, Musikvideos, Hörbücher –, dann wurde der Nutzer belangt, nicht etwa die Plattform, die das Werk zur Verfügung stellt, und im Umfeld der Kunst auch noch Werbung setzt und damit Gelder generiert. Das hat u.a. zu einer Abmahnindustrie geführt, die weder zu mehr Respekt noch Verständnis für Autoren, Autorinnen und alle anderen Urheber führte.

Diese beiden wesentlichen Lücken wurden geschlossen: Plattformen – große, d.h. in einem Umsatzvolumen von über 20 Millionen Euro, und mit einem Aufkommen an Inhalten vergleichbar mit GoogleNews, Facebook oder YouTube; nicht kleine, weder Blogs noch Unternehmen unter einem bestimmten Umsatzvolumen, auch nicht Start-ups oder wissenschaftliche Plattformen – sind verpflichtet, Lizenzen abzuschließen oder einen anderen Weg der Vergütung und Dokumentation von geschützten Werken einzuführen. Sie sind NICHT verpflichtet, Inhalte zu filtern oder zu blockieren.

Als Künstler und Künstlerinnen erhoffen wir uns Lizenzen, wo z.B. durch Pauschalzahlungen ein Ausgleich vorgenommen wird.

Gleichzeitig stellt die Richtlinie in prägnanten und klaren Formulierungen sicher, dass jeder Mensch weiterhin alles hochladen kann; dieses Recht bleibt unbenommen, und es wird sogar Meldestellen geben, wenn sich eine Plattform weigern würdem z.B. Videos hochzuladen, die von uns zur Verfügung gestellt werden – von Auftritten, Lesungen, politischen Manifesten. Das Recht des Bürgers steht über dem Recht der Plattform. Die, im Übrigen, schon längst heimlich filtern, aber nach selbst gemachten Gesetzen, die unserer Auffassung von Demokratie und Meinungsfreiheit doch sehr entgegen stehen; siehe die Fälle von Apple Itunes und regierungskritischen Apps in China, Amazon Selfpublishing in Indien, die Content Control Software benutzen, die so scharf eingestellt ist wie einst die Mullahs im Iran Bibliotheken zensiert haben (Liebe zwischen Homosexuellen, Religionskritisches usw.), Apple IBooks in Frankreich, die Cover geblockt haben, oder siehe auch die YouTube-Blockierungen von zärtlichen Kuss-Szenen bei der Internet-Webserie „Wishlist“, während Swastikas durch gelassen werden.

Sich hinter dem Urheberrecht zu verstecken mit solchen Maßnahmen, ist nicht möglich.

Der Richtlinien-Entwurf umfasst 24 Artikel, darunter Regelungen für Wissenschaft und Hochschulen, Zugang zu Werken für Hör- oder Sehbehinderte, zum Urhebervertragsrecht, zur Verlegerbeteiligung, zur Transparenzpflicht für Verlage, Partner oder Dritt-Lizenznehmer (z.B. Hörbuchverlage, aber auch Übersetzungen; es muss Einblick in Verkauf, Leihe, sonstige Nutzungen transparent sein; das gilt auch für Flatrates etwa), zur Erlaubnis von Text- und Data-Mining, zum Schutz von wissenschaftlichen Enzyklopädien oder Open-Source-Projekten, zum Schutz kleiner oder non-profit-Unternehmen, die mit Texten oder anderen Inhalten arbeiten, zum Urhebervertragsrecht, das eine Beteiligung an Erlösen für Journalisten vorsieht, eine Schiedsstelle, die binnen-interne Probleme zwischen Künstler und Verwerter beilegen kann … Sie finden die Fassung aus dem Sommer in englischer Sprache u.a. hier: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=REPORT&reference=A8-2018-0245&language=DE

Die letztgültige Fassung des Entwurfes wird gerade übersetzt.

Wie Sie allerdings der Presse, auch der einigermaßen seriösen, zumeist entnahmen, wurden die 24 Artikel und was sie alles regeln, selten umfassend erwähnt, sondern nur 2 davon, 11 und 13. Mehr noch hat sich ein altes, zutiefst ungerechtes Narrativ aufgewärmt. Urheberrecht sei eine Zensurmaschine. Das Internet gehe kaputt. Plattformen würden ja dann „Upload-Filter“ installieren und unliebsames blocken. Blogger müssten für Links zahlen. Newsletter dürften nicht mehr versandt werden. Links, die man auf Webseiten setzt, würden „besteuert“. Memes dürften nicht mehr geteilt werden. In Fußballstadien gäbe es keine Fangesänge mehr.

Kurz: alles Unfug.

Diese Narrative wurden einerseits befeuert durch Piraten- und bestimmte Netzpolitiker der traditionellen Parteien. Aber auch durch eine konzertierte Maßnahme der unmittelbaren Gegner der Richtlinie: jene Plattformen, die zur Vergütung, Transparenz und zum Respekt vor Kulturwerken angehalten werden: Google, YouTube und Co. Selbst Wikipedia, für das es einen eigenen Artikel und eine klar definierte Ausnahme von jeglichen Pflichten und Zahlungen gibt, war sich nicht zu schade, am 12.9.18 auf allen Startseiten das Ende des freien Internets zu beschwören und sich als Opfer darzustellen. Wie gesagt: Die Richtlinie um das LSR betrifft das Unternehmen nicht.

In der FAZ wurde bedrückend eindrucksvoll nachvollzogen, wie dieser digitale Proteststurm, die „Anatomie eines Polit-Hacks“ vor der ersten Abstimmung im Juni vonstattenging. Siehe hierzu

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/eu-urheberrechtsabstimmung-anatomie-eines-politik-hacks-15743044.html?printPagedArticle=true#pageIndex_0

und

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/wie-man-mit-internet-spam-europas-politik-lahmlegt-15771339-p2.html?printPagedArticle=true#pageIndex_1

Vorgefertigte Spammails wurden mit Wegwerfadressen an Abgeordnete gesandt. Manche erhielten 30.000, andere 60.000 in nur wenigen Tagen. Diese vorgefertigten Mails und Tweets, ausgelöst auch von Robotern („Bots“), suggerierten eine Masse an Kritikern des Urheberrechts. Gesendet und orchestriert wurden sie jedoch von Unternehmen aus den USA. Manche Abgeordnete erhielten Morddrohungen.

Schrieb dagegen der VS, der PEN, ein einzelner Urheber, ging dies gleichzeitig in der Masse der gefälschten eMails unter.

Auf Dauer sehe ich solche von Techgiganten inszenierte Meinungsmache als Gefahr für demokratische Mitbestimmungsprozesse. Denn sie setzen solche Waffen nicht nur für sich ein, sondern stellen sie auch jenen zur Verfügung, die die Illusion einer Massenmeinung erzeugen wollen.

Was können wir nun erwarten – Positives, Nützliches, aber auch noch Offenes?

Ein besonderes Anliegen war die rechtliche Absicherung der VG Wort. Ich bin überzeugt, dass die gemeinsam betriebene Verwertungsgesellschaft über eine weit größere Verhandlungsmacht zum Wohle der Autoren und Autorinnen verfügt, als getrennt handelnde Einrichtungen. Wir erhalten zusammen mehr Geld, bessere Verträge mit Zahlungspflichtigen (Von BITKOM bis Bibliotheken), können uns Prozesse gegen Zahlungspflichtige leisten (zuletzt gegen Handy- und Tablethersteller; gegen Amazon, das keine Geräteabgabe leisten will) und politisch dort wirksam werden, wo Vergütungslücken fehlen, wie etwa für den Bereich wissenschaftlicher Verlage und Fachbuchautoren, deren Werke zurzeit „dank“ schnell gestrickter „Bildungsschranke“ an Hochschulen digital genutzt, aber nicht vergütet werden.

Deswegen freut mich, dass mit Art. 12 des Richtlinienentwurfes Rechtssicherheit geschaffen werden soll. Auf diese Weise können wir nicht nur eine bisher erfolgreiche Zusammenarbeit fortführen. Wir haben auch eine Institution, die für uns Lizenzen und Abläufe aushandeln kann, um mit Plattformen eine Vergütung zu regeln. Das wäre ohne eine VG Wort nicht möglich.

Für uns relevant sind außerdem die Artikel 14-16; hier geht es um Beteiligungen an Erlösen aus digitaler Nutzung; vor allem Journalisten sollen besser beteiligt werden.

Fußnote nebenbei: Natürlich dürfen Sie weiterhin auf Ihrer Autorenwebseite Presseschauen und Links teilen. LSR und Plattformvergütung gelten für Unternehmen ab 20 Mio. Euro Umsatz im Umfeld von Inhalte-Verteilung.

An uns ist es aber nun auch, Sorgen der uns nahen Branchenteilnehmer – LiteraturbloggerInnen, Informationsportalen, AutorInnen-Foren – ernst zu nehmen, die sich fragen: ist mein Portal betroffen, bin ich schon eine Plattform, was muss ich tun, was kann ich lassen? Wir sammeln branchenübergreifend praxisorientierte Fragen, auch so etwas wie: Darf ich eine Presseschau auf meiner Autorenwebseite machen, mit Links und Überschriften? (Ja). Ist mein Blog mit gesammelten Rezensionen schon ein Portal? (Nein). Kommt wirklich was für mich als Autorin/Autor dabei herum, und wann? (Ja, in 1-2 Jahren, wenn Systeme, Verträge und Beträge ausgehandelt wurden. Was uns nicht davon abhalten sollte, in den markteigenen Themen weiter zu arbeiten: gegen eine Flatratekultur, für höhere Beteiligungen, für freundlichere Klauseln, für alternative Einkommenssysteme…)

Scheuen Sie sich nicht, uns über Ihren 1. Vorsitzenden entsprechende Fragen zukommen zu lassen.

Gleichzeitig möchte ich Sie ermuntern, beherzt zu sein. Ihnen wird vermehrt der Vorwurf begegnen, dass Ihr Recht das Internet zerstöre und jegliche Regulierung die Meinungsfreiheit behindere.

Das Gegenteil ist der Fall: Erst, wenn wir die Informationsmonopole regulieren, kann Meinung wieder als solche gelten. Facebook und Google schließen Filterblasen um uns, Algorithmen bestimmen, dass wir nur das sehen und lesen, was uns sowieso gefällt; diverse oder abweichende Meinungen sehen die Such-Algorithmen nicht vor. In der New York Times las ich jüngst von einer Studie, die die rechtsradikalen Angriffe und Strömungen in Deutschland untersucht hatte; dort, wo es eine überproportionale Nutzung und angemeldete Nutzer von Facebook gab, waren die Angriffe auf Vertriebene und Geflohene zahlreicher. Wie die Filterblasen Menschen zu Hatern machen kann, wurde auch im dem Buch Change the Game nachvollzogen (Auszug des 6. Kapitels): https://www2.sosmitmensch.at/das-geschaeft-mit-hass-luegen-propaganda

Erst, wenn wir durchschauen, wie digitale Technik, neben ihrer Großartigkeit, Erleichterung, Buntheit und Zugangsfreundlichkeit, auch zur Meinungsmache missbraucht werden kann, verstehen wir den Wandel von Kommunikation und wie sie auch uns, unseren Blick auf die Welt, unsere Aufgaben als Autoren und Autorinnen, mittlerweile betrifft.

Ihre Nina George

Beisitzerin des VS-Bundesvorstandes.