Wir trauern um Hermann Glaser

Trauer

Hermann Glaser dürfte die bedeutendste politisch publizistische Größe sein, die die Stadt Nürnberg im 20,. Jh. hervorgebracht hat, geht man nach Wirkungsgrad und nicht nur nach Nimbus. In Nürnberg ist vor allem darauf hinzuweisen, was er außerhalb Nürnbergs und jenseits seiner Doppelregentschaft als Kultur- und Schulreferent, Begründer der Kulturladenbewegung, der Nürnberger Gespräche und vieler anderer Initiativen war, nämlich Professor an der TU Berlin, Leiter der „Karlsruher Gespräche“ am Institut für Angewandte Kulturwissenschaft, Mitbegründer der „Kulturpolitischen Gesellschaft“ und Organisator im Werkbund. Seine bundesrepublikanischen Initiativen waren dabei mindestens so wichtig wie die Prägung der fränkischen Kulturlandschaft, und er war nicht nur „geradezu“ weltläufig, wie ich gerade in einem Nachruf lese.

Ich erinnere mich an viele Begegnungen, unter anderem unterstützte er mein erstes Buch und die ersten Versuche, einen Schriftstellerverband in Franken zu gründen. Er förderte die Nürnberger Autorengespräche, die eine Weiterführung der Nürnberger Gespräche sein sollten, und die Nürnberger Blätter. Er lud Nürnberger Schriftsteller und Theoretiker auf Kongresse ein, die er in ganz Deutschland organisierte und entfaltete dabei ein gewaltiges politisches Potential, das nicht nur dem Kalauer, Kunst sei politisch, diente, sondern der Einsicht, dass das gesamte politische Leben nichts wert sei, wenn es nicht vom Gedanken des glückenden Lebens getragen war – eine ästhetische Einsicht!  Wir hatten eine öffentliche Auseinandersetzung, als ich als Vorsitzender des Schriftstellerverbandes forderte, ihm den Nürnberger Kulturpreis abzuerkennen, weil er als Kulturreferent die Aufgabe gehabt hätte, Kulturpreisträger zu erzeugen und den Preis nicht selbst zu kassieren. Aus dieser Auseinandersetzung entstand eine Art sentimentale Freundschaft und zuletzt auch eine gemeinsame Initiative, nämlich den Neubau der Hitlertribüne zu verhindern und stattdessen einen Park mit Gärten aus vielen Kulturen zu veranlassen. Wir trafen uns gelegentlich zum kleinen Austausch in einem edlen Restaurant neben dem Nürnberger Rathaus, das den Vorteil hatte, hundert Meter neben einem Parkhaus zu stehen, weil er nicht laufen konnte und die Kombination aus Parkhaus und Gasthaus favorisierte. Bei Fisch und Wein mochte er dann Sloterdijk nicht und ich schon ein wenig. Auch war seine Liebe zu Nürnberg gelegentlich ironischer Art. Er sah die Stadt zunehmend auch „von außen“ und durchzog sie zugleich von innen mit seinem Laufapparat, mit dem er die Podien erklomm. Das Leben ist grausam, sagte er mir, als er seine Frau verlor. Er war eine Gestalt, wie man sie sich wünscht und er hat vor allem auf eine Weise intellektuell durchgehalten, die mich an Papst Wojtila erinnerte, den er übrigens mochte, wahrscheinlich, weil der es auch schaffte, bis einen Tag vor seinem Tod die Messe zu lesen. Eine Lebensleistung im Bücherdachboden, die aufgrund ihrer Fruchtbarkeit auch Opferfähigkeit ergreift, und die den Wunsch erzeugt, es möge wieder einmal eine Zeit kommen, in der man literarische und publizistische Leistungen mit derartigen Maßstäben messen kann.

Reinhard Knodt, ehemaliger Vorsitzender des VS Mittelfranken (damals VS Nürnberg) und Begründer des Schnackenhofs in Röthenbach a.d.p.